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Kleines Stück zum Glück

Vor vier Jahren als Yasu geboren wurde, hatten wir uns viel vorgenommen. Wir wollten die allerbesten Eltern sein und nebenbei die Welt retten. Yasu sollte mit den hochwertigsten Nährstoffen aus der Rohkost aufwachsen und das auch noch möglichst aus dem eigenen Garten. Wir wollten Zero Waste praktizieren und komplett auf Plastik verzichten. Die gewaltfreie Kommunikation nach Marshall Rosenberg sollte der Standard bei all unseren Familienkonflikten sein.

Derzeit haben wir diesbezüglich unsere Ansprüche wieder runtergeschraubt. Wir ernähren uns wieder bis zu 50% von gekochtem Essen. In unserem Einkaufskorb findet man immer mal wieder kunststoffverpackte Lebensmittel. Und es kommt doch mal vor, dass wir entnervt verbal um uns schlagen. Andere Vorhaben, wie etwa unsere Karriere als Buchautoren oder der Aufbau unseres Permakultur-Waldgartens verlaufen derzeit auch eher schleppend als zügig.

Bei der Rohkost fehlt uns noch die gesellschaftliche Akzeptanz. Insbesondere unsere Eltern zeigen genauso viel Begeisterung für diese durchaus gewöhnungsbedürftige Ernährungsform, wie etwa Lisa für Motos Fußballleidenschaft. So haben wir uns entschieden hier mehr Kompromisse einzugehen. Sich ausgewogen vegan zu ernähren ist dagegen so gut wie gar kein Problem mehr. Hier haben Tierschutzorganisationen wie ProVeg und leidenschaftliche Köchinnen wie Heidrun Quintino  enorm gute PR- und Aufklärungsarbeit geleistet (z.B. mit der Aktion Pflanzenpower). Sogar in Motos gewerblich-technischer Berufsschule ist nun auch dank deren Unterstützung vegan in aller Munde.  

Solch eine Unterstützung könnten all die engagierten Unverpacktläden noch gebrauchen. Das Bewusstsein, wie sehr wir unserer Gesundheit und der Umwelt mit einer Minimierung unseres Plastikkonsums helfen könnten, hat sich noch nicht in der breiten Gesellschaft etabliert. Entsprechend fehlen in unserer Nähe noch die Plastikverpackungsfreien Alternativen für beispielsweise geräucherten Tofu oder Cashew-Käse, welche wir derzeit gern verspeisen und bisher nicht die Muse fanden es selbst herzustellen.

Bei unserer Kommunikation haben wir gemerkt, wie schnell wir wieder in alte Muster fallen können, sobald wir ein gewisses Stress-Level erreicht haben. So wunderbar auch die Methode der gewaltfreien Kommunikation ist, bedarf es viel Übung um sie gerade dann anzuwenden zu können, wenn sie am meisten benötigt wird.

Nach vier Jahren, setzt sich nun entsprechend auch bei uns die Erkenntnis durch, dass das Elterndasein kein Zuckerschlecken ist und es durchaus okay ist mal kleinere Sauerteig-Brötchen zu backen. Jede grundlegende Veränderung braucht seine Zeit. Es wird immer mehr für uns ersichtlich, dass auch die kommende Generation bereit ist, aktiv eine enkeltaugliche Welt zu gestalten. Nachhaltiges Denken und Handeln gilt mittlerweile auch an staatlichen Schulen als eine Schlüsselkompetenz, welche immer mehr gefördert wird (z.B. mit dem Schulfach Glück). Wir haben gelernt, mehr die kleinen positiven Schritte zu sehen, die so viele Menschen gehen, die nicht im Rampenlicht stehen.

So sind wir dankbar, dass wir überhaupt Mama und Papa sein dürfen und finanziell immer noch alle Wünsche von Yasu erfüllen als auch all unsere Grundbedürfnisse befriedigen können. Wir wertschätzen jede Sekunde die wir mit Yasu verbringen können. Auch wenn manche Momente weniger amüsant sein können, wie wenn unser kleines Energiebündel einen Wutanfall bekommt und dann wild mit den unterschiedlichsten Gegenständen um sich schmeißt. Andererseits hält er uns auch immer wieder bei Laune, indem er beispielsweise stolz seine frisch geernteten Popel präsentiert, die größer sein können als seine kleinste Fingerkuppe. Wir sind zufrieden, dass wir von unseren 360 Büchern schon um die Hälfte verkaufen konnten, auch wenn wir längst schon mit der 2. Auflage gerechnet hatten. Bis unser Permakultur-Waldgarten zu dem wird was wir uns erträumt haben, gibt es doch noch verdammt viel zu erledigen, aber wir sind schon mal froh, den letzten Haufen von Altmüll abgetragen und schon zwei Indianerbananen geerntet zu haben. 

So üben wir uns in Geduld und hoffen tagtäglich darauf, dass wir die Jurte endlich soweit abgedichtet haben, dass kein Regen und auch keine Ratte mehr durchkommt.

Neulich im September feierte ein befreundetes Päarchen eine wunderbar improvisierte Last-Minute-Hochzeit in unserem Garten. Dabei lernten wir Samuel Koelewijn kennen. Passend zu unserer Lebenssituation sang er gemeinsam mit uns allen etwas, welches uns so sehr im Ohr wurmte, dass wir seine Textzeilen für unser neustes Musikvideo verwenden mussten. Für das gleichsam wunderbare Lied „aufstehen, aufeinander zugehen“ von Sven Schumacher haben wir extra dafür eine neue Strophe mit dem Text von Samuel kreiert und für unser neuestes Musikvideo eingesungen. Uns haben diese beiden so liebevoll geschriebenen Lieder wieder die zuletzt abhanden gekommene Gelassenheit in unseren Alltag zurück gebracht. Wir gehen wieder mit mehr Mut, Vertrauen und Zuversicht unsere Kinderschritte auf unserem Weg zum Familienglück und leben nach dem Motto: „Drei nach vorn und zwei zurück!“

Mit ganz lieben Grüßen,

Eure Familie Watanabe (Lisa, Yasu und Moto)

P.S: Das innere Spielkind von Moto ist gerade in heller Begeisterung ob des für fast unmöglich geglaubten Sieges seiner japanischen Nationalmannschaft gegen die Fußballübermacht Deutschland, auch wenn der erwachsene vernunftorientierte Teil in ihm zugeben muss, dass aus sozio-ökologischer Sicht insbesondere diese WM eine äußerst fragwürdige Angelegenheit ist. Nichtsdestotrotz war es eine große Freude für Vater und Sohn das Siegtor auf dem Laptop eines Freundes sehen zu dürfen, auch wenn für Yasu die verschiedenen Farbeinstellungen auf dem Monitor interessanter waren als das Spiel an sich. 🙂

108 Herzvisionen

Habt Ihr etwas Zeit für uns? Dann erzählen wir euch eine Geschichte von 108 Herzvisionen und wie wir herausfanden, dass die Freiheit doch vom Himmel fällt.

Wir feiern unsere hölzerne Hochzeit! Vor fünf Jahren, an einem sonnigen 1. April, haben wir in einer Boulderhalle die (Ge-)Nuss geknackt und uns das Ja-Wort gegeben. Voller Vorfreude sind wir das Wagnis Ehe eingegangen, ohne auch nur zu ahnen, was uns da wirklich erwarten würde.

Es war damals ganz sicher nicht unser Plan, Experten in der Instandhaltung einer äußerst pflegebedürftigen mongolischen Jurte zu werden oder uns handwerkliche Kenntnisse durch den Bau von Komposttoiletten aus Sperrmüll anzueignen. Keiner hatte uns davor gewarnt, dass wir mal einen willensstarken drei-jährigen Sohn haben könnten, der soviel Respekt vor uns hat, wie Wim Hof vor kaltem Wasser und tagtäglich seinen Spaß hat, die Reißfestigkeit unseres Geduldsfaden zu testen. Wir hatten nicht mit der Häufigkeit gerechnet, in der wir es als Paar schaffen, gegenseitig eigentlich nett gemeinte Äußerungen so zielsicher im falschen Hals des Gegenübers zu platzieren. Überhaupt war uns nicht klar, welch ein nervlicher Kraftakt es sein kann, eine Familie zu gründen und dabei auch noch überzeugt zu sein, alles besser zu wissen als die anderen. Hätten wir damals gewusst, wie rosarot unsere Brillen wirklich waren, wer weiß wie wir uns vor unserem ersten gemeinsamen Schluck aus der geknackten Vermählungs-Kokosnuss entschieden hätten.

So durften wir ohne jedwede Schutzvorkehrungen gefühlt die volle emotionale Breitseite unseres bisher angesammelten miesen Karmas aus vergangenen Leben empfangen. Wenn wir Rocky Balboa wären, dann befinden wir uns gerade im ersten Kampf gegen Apollo Creed und es geht erst mal als extremer Außenseiter mit unkonventionellen Trainingsmethoden darum, überhaupt die ersten Runden halbwegs heil zu überstehen. Oder sind wir doch eher Apollo, der ziemlich überheblich in den Ring gestiegen ist, um erkennen zu müssen, dass der Gegenwind heftiger weht als gedacht? Das wir gerade diesen Hollywood-Klassiker über einen durchaus spannenden Boxkampf als einen Vergleich für unser Eheleben verwenden, ist ein Indiz dafür, wie sehr wir uns manchmal so fühlen, als wären wir im falschen Film. Auch wenn bei uns keine Fäuste fliegen, hatten wir in den letzten 5 Jahren doch schon ziemlich viele verbale Schlagabtäusche und hochkochende Emotionen erleben dürfen. Dabei hatte uns doch der Algorithmus des Online-Dating-Portal, über das wir uns kennengelernt hatten, unsere psychologischen Profile als so ziemlich perfekten Match ermittelt! Entweder ist unsere Ehe das Ergebnis einer fatalen Fehlkalkulation eines Internetprogrammierers oder die ganze Angelegenheit hat doch einen höheren Sinn. Wir nutzen die Fifty-Fifty-Chance und setzen mal auf Letzteres. So steigen wir weiterhin motiviert in den Ring und schauen was so alles passiert.

Trotz der zwischen-ehelichen Unstimmigkeiten, müssen wir zugeben, dass es uns im Grunde genommen sehr gut geht und wir sehr dankbar sind, uns als verheiratetes Paar weiterentwickeln zu dürfen. Im Prinzip, leben wir im Luxus. Wir besitzen so viel, dass es noch Jahre dauern wird, bis wir unsere Dinge auf je 100 reduziert haben. Außer bei Camp-Events, bei denen wir zu dritt in einem 2-Personen-Zelt kuscheln, leben wir ziemlich großräumig mit 4-Zimmer-Wohnung plus Garten mit Jurte und auch noch einer überdimensionalen jagd-befriedeten Wald- und Spielwiese für Yasu. Sollten wir uns nicht in irgendeiner Form freiwillig in einer Fastenkur befinden, essen wir tagtäglich frisch zubereitet die leckersten Speisen. Wir verreisen regelmäßig wohin wir wollen, sofern die Ente uns an irgendeiner Raststätte nicht ihren Dienst verweigert oder die Bahn gerade streikt. Wir haben soviel Freizeit als Familie, dass wir es uns leisten können, das meiste davon für die recht ausgefallenen Spielideen unseres Sohnemanns zu verwenden. Wir haben einen verständnisvollen Freundeskreis, die unsere Verrücktheiten mehr als nur erdulden und offen als auch ehrlich sagen können, wenn wir mal unbeabsichtigt doch ihre Grenzen überschreiten. Zudem haben wir noch die Muse uns ganzheitlich-aktiv um unsere eigene geistige sowie körperliche Gesundheit kümmern zu können, ohne dafür irgendwelche Kopfbedeckungen aus Alufolien basteln zu müssen. Das alles und noch mehr haben wir bisher mit ziemlich geringen finanziellen Aufwand realisiert. Auch wenn manche Bestellungen anders ausfallen als wir es uns vorgestellt hatten, weist unser Lieferdienst vom Universum eine hohe Servicequalität auf. Irgendwas machen wir wohl doch richtig.

Es fällt uns manchmal sehr schwer, aber wir schaffen es doch immer wieder all unsere Konflikte dankbar anzunehmen und so gut wie möglich mit den Prinzipien der gewaltfreien Kommunikation aufzulösen. Fast jeden Abend gönnen wir uns das Ritual gemeinsam mit einem Rede-Stein gegenüber zu sitzen und unsere Befindlichkeit sowie Dankbarkeit für den geschafften Tag zum Ausdruck zu bringen. Wir spüren immer öfters, das Liebe mehr sein muss, als nur ein hormonelles Gefühl und es jede Anstrengung wert ist, ihr den richtigen Nährboden zu schaffen. Auch wenn das manchmal bedeuten kann, dass wir all unseren Stolz überwinden und die Anweisungen eines äußerst anspruchsvollen Knirpses Folge leisten müssen, der im unbarmherzigen Befehlston seine Eltern nötigt die Welt so zu gestalten, wie es ihm gerade gefällt. Zudem auch noch sofort und ohne Widersprüche.

So schreiten wir weiter voran als Ehepaar. Wenn wir nicht gerade für die allerneusten physikalisch-irrationalen Bauvorhaben unseres Sohnes aus Küchenutensilien, Möbelteilen und/oder Kleidungsstücken beansprucht werden, singen wir unsere Lieder und schreiben unsere Texte. Darin verarbeiten wir viele unserer Gedanken und können damit unser Familiendasein bewusster erleben sowie unsere Bestellungen an das Universum konkreter formulieren. Mit unseren Gedanken erschaffen wir letztendlich die Welt, in der wir leben wollen. Seit wir das kapiert haben, ist für uns die Freiheit eine Selbstverständlichkeit geworden und wir nutzen sie ausgiebig. Wir müssen es ja nicht wie Sylvester Stallone übertreiben, der mittlerweile im achten Film seinen unermüdlichen Rocky Balboa in die Box-Arena zurückholt und nun stellvertretend Apollo Creeds Sohn Adonis in den Ring steigen lässt, aber wir sind bereit weiter unsere linke sowie rechte Backe hinzuhalten und uns den selbst erschaffenen Herausforderungen zu stellen. Rocky selbst sagt ja: „Du und ich – und auch sonst keiner – kann so hart zuschlagen wie das Leben! Aber der Punkt ist nicht der, wie hart einer zuschlagen kann. Es zählt bloß, wie viele Schläge man einstecken kann und ob man trotzdem weitermacht!“

Mit unserem neuesten Lied „108 Herzvisionen“ (https://www.youtube.com/watch?v=YDNNpzzTRuI) wünschen wir den Kindern, dass sie all ihre innewohnenden Emotionen adäquat ausleben können und in aller Würde ihren angefangenen Lebensweg beschreiten können. Mögen sie achtsam und bewusst ihre Erfahrungen sammeln und ihr Verhalten sowie ihre Ausdrucksweise so reflektieren, dass sie von sich aus erkennen können, wie erfüllend es ist, in Liebe und im Einklang mit der Natur zu sein. All ihren Beistehenden beziehungsweise Begleitenden wünschen wir viel Ausdauer und Zuversicht damit sie ihrerseits voller Vertrauen die Welt im Sinne ihrer Kinder und Enkelkinder aktiv mitgestalten können. Denn wie sagte der alte Haudegen Rocky auch noch so weise? „Wenn ich mich ändern kann, dann könnt ihr euch auch ändern, dann muss sich die ganze Welt ändern können.“

In diesem Sinne bis bald und auf Wiedersehen!

Lisa, Yasu und Moto